Saisonale Vulnerabilität – Wenn der Sommer kein Schutz ist
Herzlich willkommen zu unserer Kolumne, schön, dass du da bist. Einmal im Monat widme ich mich hier verschiedenen Themen aus der Psychotherapiewelt und dem Praxisalltag. ✨
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Zwischen Sonnenschein und innerer Dunkelheit: Warum die warme Jahreszeit psychisch belastend sein kann
Der Sommermythos
Sonnenschein, freie Tage, Licht, Leichtigkeit – der Sommer wird oft romantisiert. Doch die Realität vieler Patient:innen sieht anders aus: Innere Unruhe, emotionale Erschöpfung und mentale Beschwerden nehmen zu. Auch in den therapeutischen Alltag findet die Sonne Einzug - in der einen Sitzung vielleicht als willkommene Stimmungsaufhellung, in der anderen Sitzung aber als zusätzliche Herausforderung.
Gesteigerte Suizidalität – ein ernstzunehmendes Phänomen
Eine weitverbreitete Annahme ist, dass der Winter die Hochsaison psychischer Krisen sei. Doch Daten des Statistischen Bundesamts zeichnen ein anderes Bild: Beispielsweise treten die meisten Suizide in Deutschland nicht im Winter, sondern in den Monaten Mai bis August auf. Im Vergleich dazu lag der Februar in den letzten dreizehn Jahren regelmäßig am unteren Ende der Statistik.
Diese saisonalen Muster werden auch international bestätigt. Studien zeigen, dass mit zunehmender Temperatur und Tageslichtdauer das Suizidrisiko leicht, aber signifikant steigt – möglicherweise durch veränderte Schlafmuster, biologische Rhythmen oder gesteigerte Impulsivität.
Der Druck, glücklich zu sein – Social Media im Sommer
Der Sommer erzeugt nicht nur thermischen, sondern auch sozialen Druck: Urlaubsfotos, lachende Gesichter, Sonnenuntergänge in den sozialen Medien. Wer sich innerlich leer oder überfordert fühlt, erlebt diesen öffentlichen Glücksdruck als zusätzlichen Stressfaktor – mit Selbstwertzweifeln, Rückzugsimpulsen oder verstärkter Vergleichstendenz. Gedanken wie „Was stimmt nicht mit mir?“, “Ich müsste doch jetzt eigentlich draußen und glücklich sein” oder „Warum kann ich die Sonne nicht genießen?“ tauchen in der Praxis immer wieder auf.
Hitze, Schlafstörungen & mentale Erschöpfung
Extreme Temperaturen führen zudem nicht nur zu körperlichem Unwohlsein, sondern beeinflussen auch die psychische Belastbarkeit. Häufige Symptome im Sommer sind:
- Schlafstörungen durch aufgeheizte Räume und fehlende nächtliche Abkühlung
- Konzentrationsprobleme und Gereiztheit im Alltag
- Verstärkte Erschöpfung gerade bei bestehenden psychischen Erkrankungen wie Depression, Angststörung oder ADHS
Was viele unterschätzen: Auch ganz alltägliche Dinge wie Hitze, Lärm, Urlaubsunterbrechungen und unregelmäßige Tagesabläufe können sich negativ auf das psychische Befinden auswirken.
Körperbild und Kleidung – ein stiller Stressor
Sommer und luftige Kleidung bedeutet oft: mehr Haut wird gezeigt. Für viele Patient:innen, insbesondere mit Dysmorphophobie, Essstörung oder sozialer Phobie ist das eine psychisch hochbelastende Zeit. Die Unsicherheit im Körperbild wird durch kurze Kleidung, Freibadbesuche oder den Vergleich mit scheinbar perfekten “Bikini Bodies” sichtbar verstärkt – oft begleitet von Rückzug oder innerer Anspannung.
💬 Was wir therapeutisch tun können
- Saisonale Sensibilität stärken: Thematisieren Sie im Sommer aktiv, dass Unruhe oder Verstimmung nicht untypisch sind – das entlastet.
- Schlafhygiene und Rhythmus stabilisieren: Auch während Urlauben oder Hitzewellen auf möglichst feste Strukturen achten.
Vergleichsdruck entkräften: Arbeiten Sie mit Selbstakzeptanz und achtsamer Mediennutzung – hilfreich sind z. B. Impulse aus der ACT oder Schematherapie. - Realistische Körperbilder vermitteln: Thematisieren Sie gesellschaftliche Schönheitsnormen kritisch, stärken Sie die Körperakzeptanz und unterstützen Sie Patient:innen dabei, den eigenen Körper nicht als Objekt, sondern als lebendiges Gegenüber zu erleben.
- Suizidprävention im Blick behalten: Frühwarnzeichen thematisieren und ggf. Notfallpläne gemeinsam (wieder) aktivieren.
Fazit
Sommer ist nicht für alle leicht. Im Gegenteil: Für einige bedeutet der Sommer eine Phase erhöhter Belastung. Wenn wir als Therapeut:innen diesen saisonalen Effekten Aufmerksamkeit schenken, können wir nicht nur präventiv wirken – sondern auch zeigen, dass es in Ordnung ist, im hellen Licht eigene Schatten zu spüren.
Quellen:
https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Todesursachen/Tabellen/suizide.html, Zugriff am 25.08.2025
https://www.asc.upenn.edu/news-events/news/suicides-dont-spike-around-holiday-season-americans-think-they-do, Zugriff am 25.08.2025
Vyssoki, B., Kapusta, N. D., Praschak-Rieder, N., Sonneck, G., Blüml, V., & Willeit, M. (2012). Effects of sunshine on suicide rates. Comprehensive Psychiatry, 53(5), 535–539. https://doi.org/10.1016/j.comppsych.2011.06.003
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