Wer immer nur schwarz-weiß denkt, wird nie einen Regenbogen sehen können.
Herzlich willkommen zu unserer Kolumne, schön, dass du da bist. Einmal im Monat widme ich mich hier verschiedenen Themen aus der Psychotherapiewelt und dem Praxisalltag. ✨
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Juni ist Pride Month – und eine Einladung, hinzuschauen. Auf die Geschichten queerer Menschen. Auf Vielfalt, die bereichert. Auf Strukturen, die sich noch verändern müssen. Und auf die Frage: Wie können wir auch in der Psychotherapie einen Raum schaffen, in dem jede Identität gesehen und gestärkt wird? Denn queere Menschen sind in ihrem Leben und Alltag häufig mit Diskriminierung und Abwertung konfrontiert. Auch im psychotherapeutischen Setting können queere Lebensmodelle bei unzureichender Sensibilität auf Unverständnis oder Überforderung seitens des / der Therapeut:in führen. Daher möchte ich mich heute dem Thema der LGBTQIA+ sensiblen Psychotherapie widmen.
Zunächst eine Definition: LGBTQIA+ ist eine Abkürzung für für die englischen Wörter Lesbian, Gay, Bisexual, Transsexual/Transgender, Queer, Intersexual und Asexual und umfasst damit unteschiedliche geschlechtliche Identitäten und sexuelle Orientierungen. Das “+”-Zeichen steht für alle weiteren Sexualitäten und Geschlechtsidentitäten und soll damit symbolisieren, dass es eben noch viele weitere Lebensformen gibt. Häufig wird aber auch umfassend der Begriff queer verwendet.
Risiko für psychische Erkrankungen erhöht
LGBTQIA+ sollte kein „Spezialthema“ sein, denn es ist Alltag für viele Menschen, aber leider auch Leidensrealität. Aufgrund der häufig erlebten Ausgrenzung, Diskriminierung, strukturellen Hürden und sogar körperliche Gewalt, ist das Risiko für psychische Erkrankungen und Belastungen bei queeren Menschen im Vergleich zu cis-hetereosexuellen* Menschen erhöht. Umso wichtiger ist es, dass queere Menschen in der Psychotherapie andere Erfahrungen machen und der Therapieraum ein Ort zum heilen sein kann und nicht einer, in dem sich Diskriminierung und fortsetzt.
Psychotherapie als sicherer Ort
Wie können wir als Psychotherapeut:innen gewährleisten, dass sich queere Menschen verstanden und sicher fühlen sowie eine offene, nicht wertende Atmosphäre entsteht? Folgende Punkte können dabei entscheidend sein:
Wahl der Sprache
Die Sprache ist mehr als eine Formalität - sie ist ein Signal. Wer Begriffe, Pronomen und Selbstbezeichnungen der Patient:innen bewusst und korrekt verwendet, zeigt, dass ihre Identität gesehen und ernst genommen wird. Das beinhaltet zum Beispiel nach bevorzugten Pronomen zu fragen, geschlechtsneutrale Formulierungen zu verwenden und nicht automatisch von heterosexuellen oder binären Lebensrealitäten auszugehen.
Selbstreflexion: Eigene Haltung hinterfragen
Spätestens seit der Selbsterfahrung wissen wir wahrscheinlich alle, dass eine kritische Selbstreflexion als Therapeut:in unerlässlich im therapeutischen Arbeiten ist. Besonders in der Arbeit mit queeren Menschen sollten Therapeut:innen sich mit ihren eigenen Vorstellungen, Normen und möglicherweise unbewussten Vorurteilen auseinandersetzen. Dazu gehört auch die Bereitschaft, blinde Flecken zu erkennen und anzuerkennen, z.B. in Bezug auf Heteronormativität, Geschlechterrollen oder internalisierte Vorstellungen von "normaler" Entwicklung.
Offenheit für Vielfalt und Vieldeutigkeit
Queere Identitäten und Lebensweisen sind vielfältig, individuell und oft nicht eindeutig einzuordnen. Eine queersensible therapeutische Haltung bedeutet, diese Uneindeutigkeit nicht zu problematisieren, sondern anzuerkennen. Nicht alles muss einsortiert und kategorisiert werden, um unterstützend begleitet zu werden.
Resilienz stärken in einer diskriminierungserfahrenen Welt
Da LGBTQIA+-Personen so häufig mit individueller, gesellschaftlicher und politischer Ablehnung und Ausgrenzung in ihrem Alltag konfrontiert sind, kann ein wichtiges Ziel in der Therapie sein, Ressourcen von Patient:innen zu aktivieren und Resilienz zu stärken. Dies kann Selbstwertarbeit beinhalten, das bewusste Einbinden von sozialer Unterstützung, Aufbau sicherer Rückzugsräume oder Achtsamkeit gegenüber eigenen Belastungsgrenzen, z.B. Medienkonsum,
Arbeit mit Glaubenssätzen
Häufig haben queere Menschen schon in Kindheit und Jugend Abwertung und Ausgrenzung erlebt - sei es im familiären Umfeld, in der Schule oder durch gesellschaftliche Normen. Nicht selten haben Patient:innen basierend darauf Glaubenssätze wie “Ich bin nicht richtig” oder “So wie ich bin, werde ich nicht geliebt” entwickelt, die sie auch in ihrem Erwachsenenleben weiter begleiten. In der Therapie gilt es, diese Gedanken zu identifizieren, sensibel mit ihnen zu arbeiten und neue, stärkende Sichtweisen zu etablieren.
Fazit
Es braucht keine Regenbogenflagge im Wartezimmer, um queersensibel zu arbeiten. Was es braucht, ist eine Haltung, die bereit ist, zuzuhören, sich zu hinterfragen und auch das Ungewohnte stehen zu lassen, ohne es sofort einordnen zu müssen. Wir müssen nicht alles wissen, aber wir müssen offen sein: Wir dürfen fragen und neugierig sein – mit Respekt, Interesse und echtem menschlichem Kontakt.
*cis-heterosexuell bezieht sich auf Menschen, deren Geschlechtsidentität mit dem Geschlecht übereinstimmt, was bei der Geburt zugewiesen wurde und die sich außerdem als heterosexuell definieren.
Quellen:
- David Kasprowski, M. F., Chen, X., de Vries, L., Kroh, M., Kühne, S., Richter, D., & Zindel, Z. (2021). Geringere Chancen auf ein gesundes Leben für LGBTQI*-Menschen. The Gerontologist, 59(4), 760-769.
- https://www.uni-wh.de/queer-history-month-wie-geht-es-queeren-menschen-in-deutschland
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